Pflegewissenschaftlich fundierte Personalbemessung

Die Pflege braucht ein neues, pflegewissenschaftlich fundiertes Pflegepersonalbemessungsinstrument

Die PPR 2.0 ist kein pflegewissenschaftlich fundiertes Verfahren

„Insgesamt fiel der Pflegezeitbedarf pro Patient und Tag mit der PPR 2.0 um ca. 8 % höher aus als mit der PPR (alt). Eine hohe Standardabweichung zeigte zudem, dass große Unterschiede zwischen den Krankenhäusern und den einzelnen Stationen bestehen.“ Die DKG räumt weiter ein, dass die PPR 2.0 kein pflegewissenschaftlich fundiertes Verfahren ist: „Parallel dazu kann das BMG die Entwicklung eines endgültigen Pflegepersonalbedarfsbemessungsinstruments (PPBI) auf wissenschaftlicher Basis beauftragen.“

Quelle: „PPR 2.0: Ablösung für die Pflegepersonaluntergrenzen“, Das Krankenhaus, 2.2020, S. 114 ff.

Wir sind der Auffassung, dass das BMG die Entwicklung eines wissenschaftlich fundierten Instruments zur Messung des Pflege(zeit)bedarfs nicht nur beauftragen kann, sondern dies endlich auch tun sollte.


Hierfür wird allerdings ein Zeitkorridor zwischen drei und fünf Jahren veranschlagt. Moderne Ansätze zur Messung des Pflegebedarfs kombinieren ein Assessment des Patientenzustands und die pflegerischen Leistungen, während die PPR einem ausschließlich handlungsorientierten Ansatz folgt und somit wichtige pflegerische Leistungsbereiche nicht abbildet. Die Forderung der Pflegeverbände geht dahin, auf den pflegerelevanten Indikatoren des G-DGR-Systems aufzusetzen und einen multidimensionalen Ansatz zur Messung des Pflegebedarfs zu realisieren, der den Patientenzustand, Basisleistungen und spezielle Pflegeleistungen integriert. Daraus soll – abhängig vom Leistungsgeschehen – der Pflegeerlöswert abgeleitet werden.


Im Hinblick auf die Entwicklung eines zukünftigen Pflegepersonalbemessungsinstruments sind folgende Instrumente relevant:

Pflegerisches Basis-Assessment (BAss)

Der BaSS besteht aus sechs Modulen, die den generellen Pflegebedarf von Erwachsenen quantifizieren sollen. Eingeschätzt werden: Selbstständigkeit; kognitive, sensorische und/oder kommunikative Einschränkungen; Verhaltensweisen; Risiken und Präventionsbedarf; und Zustände mit erhöhtem Überwachung-/Unterstützungsbedarf. Im BaSS sind verschiedene Score zur Einschätzung des Pflegebedarfs integriert. In jedem Modul wird der Patient auf einer vierstufigen Skala eingeschätzt.


Multimodale interdisziplinäre Komplexbehandlung

Als Ersatz für den PKMS (Pflegekomplexmaßnahmen-Score) wird der OPS-Kode 9-21 für die multimodale interdisziplinäre Komplexbehandlung in der Akutpflege diskutiert. Es gibt allerdings auch starke Stimmen dafür, den PKMS beizubehalten. Link: Weiterführenden Informationen von Pro-Pflege.


Zeitbewertungen auf Basis der ENP

„Die Pflegeklassifikation ENP wurde entwickelt, um im Rahmen einer Pflegedokumentation die Abbildung des Pflegeprozesses in einer einheitlichen, standardisierten Sprache zu ermöglichen.“ In ENP werden Pflegeleistungen Zeitwerte zugeordnet und diese fallbezogen summiert. Link: Weiterführende Informationen bei Recom.


Ansätze zur Verknüpfung von Pflegeprozess-Dokumentation und Personaleinsatz-Steuerung

Pflegepersonalbemessung: Wo stehen wir heute?

Tatsaechlicher Personalbedarf

Die Pflege leidet nach wie vor darunter, dass es keine verbindliche Methode für die Personalbedarfsermittlung gibt.

In der Regel werden einfach IST-Stellen fortgeschrieben, wenn es gut geht schaut man sich den Besetzungsbedarf nach der Arbeitsplatzmethode an. Die Ableitung eines Pflegepersonalbedarfs aus den DRG greift ebenso zu kurz, wie die sogenannten „Benchmarks“ mancher Strategieberater. So kommt es, dass sich auch die PPR nach wie vor hält, die Kalkulationshäuser wenden sie jedenfalls immer noch an.

Die Kombination einer fehlenden Methode für die Personalbedarfsermittlung mit dem Kostendruck durch die Einführung der DRG führte in der Vergangenheit zu Einsparungen im Pflegebereich, bei denen nie gemessen wurde, was eigentlich der Bedarf ist.

Belastung Pflegepersonal

Die zunehmende Arbeitsbelastung, kombiniert mit vergleichsweise unattraktiven Löhnen, hatte wiederum zur Folge, dass der Pflegeberuf insgesamt immer unattraktiver wurde.

Der resultierende Personalmangel mündete in ein endloses Engpassmanagement mit entsprechenden pflegerischen Qualitätseinbrüchen. „Implizite Rationierung“ lautet ist Alltag in deutschen Krankenhäusern.

Paradoxerweise ist es genau dieser anhaltende Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal in ganz Europa (!), der dazu führt, dass man wenig Wert auf eine valide und reliable Personalbedarfsermittlung legt. Motto: Was hilft es uns, wenn wir den Personalbedarf kennen, aber das Personal am Markt nicht rekrutieren können. Diese Denkweise ist aber Element eines Teufelskreises: wenn man nicht mehr quantifizieren kann, was wirklich benötigt wird, dürfte es schwer sein, angemessene Maßnahmen anzustoßen.

In der Not hat man nun auf politischem Weg Pflegepersonaluntergrenzen verordnet, die anscheinend das Potenzial haben, zu Pflegepersonalobergrenzen zu werden, wenn niemand gegensteuert.

Im DRG-Zeitalter wurde Pflege als Kostenfaktor verstanden, nicht als Leistungsfaktor, der Patienten versorgt – und Erlöse erwirtschaftet. Weder wurden die Leistungen der Pflege adäquat abgebildet, noch die Verwendung der Erlöse für die Pflege sichergestellt. Was bringt der Pflegeerlöskatalog für die Ermittlung des Personalbedarfs?

Was bringt der Pflegeerlöskatalog für die Ermittlung des Personalbedarfs?

Nun soll ab 2020 ein eigener Pflegeerlöskatalog für Abhilfe sorgen. Die Pflege am Bett wird aus den DRG ausgegliedert – was gar nicht nötig gewesen wäre (s.o.). So einfach sich das Ganze anhört, so schwierig gestaltet sich der Umstellungsprozess in der Praxis: Was alles gehört zur Pflege? Was tun mit Medizinischen Fachangestellten – die nun über Rumpf-DRGs finanziert werden? Dies sind nur zwei von vielen Fragen rund um die neuen aG-DRG.


Pflegebedarf nicht valide gemessen

Die Wurzel des Übels wurde jedoch gar nicht angegangen: Der Pflegeerlöskatalog bildet nach wie vor weder den Pflegebedarf noch den Personalbedarf ab.

Die Bewertungsrelationen für den Pflegeaufwand je DRG werden gebildet, in dem man den IST-Personalbestands der Kalkulationshäuser tageweise auf die DRGs verteilt. Grundlage hierfür ist die veraltete PPR, deren Reliabilität anerkanntermaßen gering ist und die insgesamt nicht geeignet ist, den Pflegebedarf zu erfassen. Mit den Bewertungsrelationen wird kein Pflegebedarf erfasst, sondern nur das (grob eingeschätzte) relative Verhältnis des Pflegebedarfs im Vergleich unterschiedlicher DRGs, wobei der tatsächliche Personalbestand der Kalkulationshäuser auch noch als Deckel wirkt.


Tatsächlich ließe sich aber aus der Summe der Bewertungsrelationen, bei gegebenem Personalbestand, ein Pflegezeitbudget pro DRG ermitteln. Man könnte sogar sagen, dass ein solches Pflegezeitbudget implizit immer gegeben ist:

Pflegezeit pro DRG

Wenn man das individuelle Pflegebudget des Krankenhauses durch die Summe der in diesem Krankenhaus anfallenden Bewertung teilt, erhält man zunächst das Pflegeentgelt pro Bewertung. Das Pflegeentgelt pro Bewertungspunkt lässt sich in Pflegezeit pro Bewertungspunkt umrechnen, wenn man das Pflege Entgelt durch die Personalkosten pro Stunde teilt. Damit erhält man eine Pflegezeit pro DRG.

Der tatsächliche Pflegezeitbedarf pro Tag schwankt im Versorgungsverlauf natürlich, was durch die Pflegezeit pro DRG nicht abgebildet wird.

Pflegezeit pro DRG 2
Pflegezeit pro DRG

Auch individuelle pflegerelevante Besonderheiten lassen sich so kaum erfassen. Stellen Sie sich vor, der Patient, den wir im Auge haben, hätte eine Pankreatitis oder gar eine Pankreatektomie, so kann man sich leicht vorstellen, dass es einen großen Unterschied macht, ob dieser Patient blind ist, ob er 20 Jahre jung und ansonsten gesund ist oder ob es sich um einen depressiven Menschen handelt.

Grafik-naeherungsweise Steuerung des Personaleinsatzes

Dennoch hätten valide Pflegebewertungsrelationen das Potential, die Pflegezeit pro DRG für eine näherungsweise Personalbedarfsermittlung und auch für eine grobe Steuerung des Personaleinsatzes.

Aus diesem Grund schließen wir uns der Forderung an, die Bewertungsrelationen durch die Nutzung von geeigneten Instrumenten für eine valide und reliable Erfassung des Pflegebedarfs zu ermitteln – unabhängig vom verfügbaren Personalbestand.

Eine valide Messung des mittleren Pflegezeitbedarf pro DRG wäre ein Schritt zur Etablierung einer angemessenen Personalbedarfsermittlung und würde ebenso eine bessere Steuerung des Personaleinsatzes ermöglichen.

Geeignete Instrumente sind bereits heute verfügbar. Hier ist vor allem das pflegerische Basis Assessment BAss zu nennen, das am Beginn des Pflegeprozesses steht und die Grunddaten für die weitere Pflegediagnostik und Pflegeplanung liefert.


Die Pflegeplanung sollte anhand der European Nursing care Pathways oder ähnlicher geeigneter Instrumente erfolgen.

Zeitwerte von ENP-Interventionen

Die ENP haben den entscheidenden Vorteil, dass es für viele ENP-Interventionen bereits definierte Zeitbedarf gibt, die gut validiert sind.


Verbesserte naeherungsweise Steuerung des Personaleinsatzes

Wenn nun, zumindest in den Kalkulationshäusern, eine systematische Pflegeplanung angewendet und – anhand hinterlegter Personalbindungszeiten und einer einheitlichen Nomenklatur nach ENP –  der Pflegezeitbedarf pro Patient valide und reliabel erfasst würde, dann erhielten wir auch eine Darstellung des tatsächlichen Pflegebedarfs pro DRG.

Dies wäre die Grundlage für eine valide Personalbedarfsermittlung würde eine grobe Steuerung des Personaleinsatzes ermöglichen.

Nutzung Pflegezeitaufwand pro Pflegeeinheit fuer Personalbedarfsermittlung

Aus den in Zeitwerte umgerechneten DRG Bewertungsrelationen aller Patienten einer Pflegeeinheit lässt sich der mittlere Besetzungsbedarf für diese ermitteln. Damit ist natürlich auch transparent, inwieweit die geplante Besetzung zum aktuellen Pflege Zeitbedarf am Tag X passt.

Man könnte also pro DRG einen brauchbaren Mittelwert für den Pflegezeitbedarf ermitteln, wenn man die entsprechenden Instrumente einsetzt. Dies ist vor allem für die Personalbedarfsermittlung unerlässlich.

Aber: es bleibt weiterhin eine hohe Varianz des Pflegeaufwands pro Patient und es fehlt auch die Justierung für den Pflegeverlauf.

Abbildung des Pflegebedarfs via DRG-Bewertungsrelationen

So bleibt die Übereinstimmung von individuellen Pflege Zeitbedarf und Pflegekapazität weiterhin mehr oder weniger Glückssache. Auf DRG-Ebene können wir die Varianz des Pflegeaufwands pro Patient noch nicht gut abbilden.

Pflegebedarf_Pflegekapazitaet bleibt Glueckssache

Abbildung des Pflege(zeit)bedarfs durch eine BAss und ENP-gestützte Pflegeprozess-Dokumentation

Der tatsächliche Pflegezeitbedarf lässt sich nur durch die Nutzung individuelle Pflegeplanung mit hinterlegten Zeitwerten darstellen. Z.B. durch eine BAss und ENP-gestützte Pflegeprozess-Dokumentation

Nun wäre es auch unabhängig von Pflegeerlöskatalog und Kalkulationshäusern schon heute für jedes Krankenhaus möglich, genau das zu tun: den Pflegebedarf mit Hilfe der individuellen Pflegeplanung (BAss – ENP basiert) abzubilden und zeitlich zu quantifizieren. Schließlich existieren die dazu erforderlichen Instrumente bereits, einschließlich der benötigten Software. Warum geschieht dies nicht?

Valide Instrumente um Pflegebedarf zu messen

Das Problem ist, dass die verfügbaren, validierten Instrumente nicht eingesetzt werden, weil der Pflege die Zeit dafür fehlt. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Viel wichtiger ist noch die Angst vor Transparenz. Durch eine geeignete Messung des Pflegebedarfs werden Lücken transparent – und zwar quantitativ.

Wir haben keine Zeit

Dabei hätten die Pflege jetzt die Chance, die Richtung neu vorzugeben indem Pflegezeitbedarfe sauber (= valide und reliabel) gemessen und transparent gemacht werden.

Validierung von Pflege-DRG-bezogenen Personalbedarfs-Kennzahlen durch individuelle Pflegeplanung
Validierung von Pflege-DRG-bezogenen Personalbedarfs-Kennzahlen durch individuelle Pflegeplanung

Mit der individuellen Pflegeplanung und Pflegeprozess Dokumentation setzt die Pflege bei den konkreten Patienten an und erfasst den Pflegezeitbedarf individuell und pro Pflegeeinheit. Dabei darf man sich nicht vorstellen, dass zusätzliche, aufwändige Erhebungen stattfinden müssten. Die Pflegezeitbedarfe lassen sich bereits aus einer strukturierten, ENP-gestützten Pflegeplanung unmittelbar errechnen. So wird eine wesentlich bessere Steuerung des Personaleinsatzes möglich.

Erfassung des idividuellen Pflegebedarfs
Erfassung des idividuellen Pflegebedarfs

Dazu werden die geplanten Pflegemaßnahmen automatisch mit Zeitwerten hinterlegt, die bei Bedarf angepasst werden können. Hinzu kommen Zeiten für administrative und organisatorische Aufgaben, sowie ärztliche Assistenzaufgaben und Visiten. Der tägliche Zeitbedarf (pro Patient) sowie die indirekten Personalbindungszeiten werden im IT System auf einen Tagesablauf verteilt, wobei ebenfalls eine manuelle Anpassung möglich sein sollte. So kann der tatsächliche Pflegezeitbedarf für jede Pflegeeinheit tagesaktuell abgebildet werden. In Zukunft sollten sogar lernende Systeme / Algorithmen verfügbar sein, die bei der Zuordnung von Zeitbedarfen im Tagesverlauf unterstützen können.

So würde man eine transparente Darstellung erhalten, wann wie viel Pflegezeit in der Pflegeeinheit benötigt wird und es ist möglich, dem die verfügbaren Ressourcen gegenüberzustellen.

Pflegezeitaufwand mit ENP-gestuetzten Pflegeplanung
Pflegezeitaufwand mit ENP-gestuetzten Pflegeplanung

Um einen solchen systematischen Soll-Ist-Vergleich vorzunehmen, bedarf es einer Schnittstelle zur Personaleinsatzplanung. Dies ist derzeit noch Zukunftsmusik. Die gängigen Dienstplanprogramme bieten noch keine Schnittstellen und Funktionalitäten, die eine so differenzierte Abbildung schwankender Besetzungsbedarfe ermöglichen würden.

Aber wenn heute in allen Branchen von Digitalisierung und Arbeitswelt 4.0 die Rede ist, sollte auch die Pflege ihre Anforderungen an eine entsprechende IT Unterstützung formulieren. Was die Pflege nicht braucht, sind Pflegeroboter. Was sie aber dringend benötigt, ist eine IT-Unterstützung für die aufwandsarme Erfassung von Zeitbedarfen und das direkte Matching mit der Personaleinsatzplanung. Umgang mit Differenzen zwischen Pflege-Ressourcen und Pflege-Bedarf

Umgang mit Differenzen zwischen Pflege-Ressourcen und Pflege-Bedarf

Welche Möglichkeiten gibt es, wenn der aktuelle Pflegezeitbedarf von den dienstplanmäßigen Personalressourcen mehr oder weniger stark abweicht?

Das Ziel ist natürlich nicht, den Patienten elementare pflegerische Leistungen vorzuenthalten, sondern, wie dargestellt zunächst einmal alle Ressourcen möglichst flexibel zu nutzen, um den tatsächlichen Bedarf bestmöglich zu decken.

Geregelte und begrenzte Flexibilisierung von Arbeitsort und Arbeitszeit
Geregelte und begrenzte Flexibilisierung von Arbeitsort und Arbeitszeit

Hier gibt es zwei wesentliche Ansätze: kleinere Abweichungen können durch eine geregelte Flexibilisierung der Arbeitszeit aufgefangen werden, bei größeren Abweichungen ist der Einsatz von Vertretungsdiensten in Teamverbänden erforderlich.


Teamverbände, Vertretungsdienste und FlexPool

Teamverbände wurden vielerorts im Zuge des Ausfallmanagement bereits eingeführt. Horizontale Arbeitsplatz-Flexibilität ist und bleibt notwendig, wenn man eine bessere Übereinstimmung von Pflege Zeitbedarf und Einsatz pflegerische Ressourcen erreichen möchte. Eine Alternative zu Teamverbänden und Vertretungsdiensten, sind Systeme wie der in Neuss entwickelte FlexPool: Hier werden sämtliche Ausfallzeiten wegen Krankheit (bis zu 10%) durch eine Mitarbeiter*innengruppe abgedeckt, die feste Arbeitszeiten, aber sehr variable Einsatzorte hat.


Geregelte Arbeitszeit-Flexibilisierung (Flexi-Dienste)

Statistische Verteilung ds tatsaechlichen Pflegebedarfs

Wenn der tatsächliche Pflegebedarf gemessen werden würde, erhielte man mit der Zeit eine statistische Verteilung des Pflegezeitbedarfs im Tages- und Wochenverlauf, aus der hervorgeht, mit welcher Sicherheit die im Wochenbesetzungsplan vorgesehenen Einsatzzeiten zum Zeitbedarf passt. In der Notaufnahme wenden wir dieses Vorgehen schon seit Jahren an, wobei wir eine Darstellung des Mittelwerts und des 85. Perzentils als Grundlage für die Planung der Dienstzeiten und Besetzungsstärken verwenden.

Man kann die Arbeitszeitflexibilität zum Beispiel so gestalten, dass man Flexi-Dienste plant, die bei Bedarf um 1-2 Stunden verkürzt oder verlängert werden. Diese Dienste stehen bereits so im Dienstplan, d. h., dass für 75% des Teams ein pünktliches Dienstende sichergestellt ist, während sich ein Viertel der Kollegen*innen darauf einstellt, bei Bedarf die Arbeitszeit in einem begrenzten Rahmen anzupassen.

Wie die Berücksichtigung des tatsächlichen Pflege Zeitbedarf in einem zukünftigen Dienstplanprogramm aussehen könnte, ist hier modellhaft dargestellt:

Gegenueberstellung Besetzungsbedarf und IST Besetzung
Gegenueberstellung Besetzungsbedarf und IST Besetzung

Zunächst hat man die reguläre Besetzung entsprechendem Wochenbesetzungsplan. Diese wird auf den Wert des aktuell gemessenen Pflegezeitbedarfs angepasst. Daraus ergibt sich nun eine Differenz zwischen dem aktuellen Besetzungsbedarf und der dienstplanmäßigen Besetzung. Im Dienstplan werden bereits vorgeplante Vertretungsdienste innerhalb des Teamverbands mobilisiert oder – wenn dies nicht möglich ist – flankierende Maßnahmen in die Wege geleitet.

Nicht immer wird es gelingen, die Diskrepanz zwischen verfügbaren Ressourcen und bestehenden Bedarf auszugleichen. Aber die Furcht, eine offene Transparenz der Situation, würde die Sache schlimmer machen, ist u.E. eher unbegründet. Im psychologischen Sinne „schlimm“ ist es vor allem dann, wenn so getan wird, als ob man alles schaffen könnte, wenn es nicht mehr schaffbar ist.

Selbstverständlich müssen nun auch Maßnahmen des Engpassmanagements erfolgen. Dabei wird es Priorisierungsregeln und in begrenztem Umfang auch risikominimierte Leistungsanpassungen geben. Auch eine vorübergehende Aufnahme-Begrenzung darf kein Tabu sein.

Von der Pflegeplanung zur Personalbemessung
Von der Pflegeplanung zur Personalbemessung

Echte Engpässe werden umso seltener, je mehr es gelingt, tatsächliche Pflegezeitbedarfe in die Personalbemessung einzuführen. Was wir aber in Zukunft sicher nicht schaffen werden, ist es, eine Hüllkurve über alle Zeitbedarfe zu legen und so viele Pflegekräfte auf jeder Einheit einzusetzen, dass dies alle Schwankungen umfasst. Deshalb braucht es, auch bei bestmöglicher Personalbemessung, weiterhin eine Flexibilisierung bezüglich des Arbeitsortes und der Arbeitszeit. Diese macht aber erst dann Sinn und wird auch erst dann akzeptiert werden, wenn die Personalressourcen wenigstens grob dem Bedarf entsprechen und nicht von vornherein eine erhebliche Unterdeckung besteht. Fazit und strategische Perspektive: Warum sollte der Pflege(zeit)bedarf Ressourcen-unabhängig ermittelt werden?

Es wird im politischen Bereich kaum jemanden geben, der daran Interesse hat, den tatsächlichen Pflegebedarf darzustellen, denn es ist aufgrund der demografischen Entwicklung und des bereits bestehenden Pflegekräftemangels schon heute klar, dass der Bedarf an Pflegepersonen nicht gedeckt werden kann.

Die modernen Instrumente ermöglichen erstmals eine valide und reliabel Darstellung des tatsächlichen Pflegebedarfs. Dieser muss auch erfasst und aufgezeigt können, um den tatsächlichen Handlungsbedarf zu quantifizieren. Angesichts der Verlagerung des Arbeitskräftebedarfs durch die Digitalisierung wäre es keineswegs unmöglich, genügend Pflegekräfte zu rekrutieren und auszubilden, WENN der Pflegeberuf entsprechend attraktiver gestaltet wird. Für Dauerüberlastung als Beruf werden sich die wenigsten Menschen entscheiden wollen. Die Grundlage für jede Weiterentwicklung ist dabei die Darstellung des tatsächlichen Bedarfs.

Leider ist es hier wie beim Thema Klimawandel: auch wenn ein Problem quantifiziert werden kann, ist das noch kein Garant dafür, dass die notwendigen Maßnahmen auch immer im erforderlichen Umfang getroffen werden. Aber eines ist ebenfalls sicher: wenn ein Problem nicht quantifiziert werden kann, werden unter Garantie gar keine Maßnahmen getroffen. Deshalb ist es an der Zeit, für die nötige Transparenz zu sorgen.